Akzeptanz-orientiertes Coaching

Achtsamkeit, Würdigung und Veränderung aus dem Jetzt


Akzeptanz-orientiertes Coaching  


„Akzeptanz-Coaching“ gibt es m. W. weder als gängigen Begriff noch als beschriebene Methode. Ich nutze den Begriff lediglich, um eine Coachingidee vorzustellen, die vor allem auf Achtsamkeit, Akzeptanz und wertebasiertes Handeln fokussiert.

Hier beschreibe ich jedoch eine Haltung: Gegenwart bewusst wahr- und annehmen, auch negative Emotionen würdigen und laufende Prozesse stimmig abschließen, bevor ein neuer Veränderungsprozess gestartet wird.

Im Kontrast zur Erfolgsorientierung reduziert das Stress und Überforderung – zugunsten von Klarheit, Selbstannahme, innerer Ruhe und Gelassenheit. Das ist ein Innehalten, ein Loslassen, durch das dann vielleicht später „wie von selbst“ Veränderung möglich wird. Der berühmte Therapeut Milton Erickson liebte die Intervention: „Du brauchst gar nichts tun.“




Die Wirklichkeit erleben wir nur jetzt.

„Nur das radikale Akzeptieren der Gegebenheiten in unserem Leben erlaubt uns eine Veränderung.“

Über die Richtigkeit dieser Behauptung von Marsha Linehan kann man streiten. Wenn der Klient leidet und einen Problemzustand beschreibt, ist es verständlich, wenn der Coach (Therapeut) die klassische Coachingfrage stellt: „Was wünschst du dir stattdessen?“ So wird die Aufmerksamkeit weg vom Ist-Zustand und hin zum Sollzustand gelenkt.
Das ist das Grundprinzip der ziel- bzw. lösungsorientierten Methoden. Der Klient konstruiert dann meist eine Lösungsvorstellung, die in naher Zukunft stattfinden soll und jetzt sofort eingeleitet wird. Dadurch sollen die negativen Empfindungen und Bewertungen, die der Klient empfindet (seine Problemkonstruktion), möglichst schnell in positive Erwartungen und Möglichkeitskonstruktionen „reframt“ oder „transformiert“ werden.
Das funktioniert oft recht gut, so wie eine Schmerztablette.

Was aber Marsha Linehan hier vermutlich meint, ist, dass damit ja der bisher laufende, problematische Prozess nicht automatisch endet. Sie glaubt, dass erst das ganz bewusste Annehmen, die Auseinandersetzung mit dem, was gerade ist, das präzise Hinschauen und Aushalten der aktuellen Situation einen Schlusspunkt setzen kann und erst daran anschließend eine wirkliche Veränderung sinnvoll und nachhaltig ist. Damit ist nicht gemeint, eine aufwendige Ursachensuche zu betreiben, wie etwa in der Psychoanalyse und der Tiefenpsychologie. Ursachen werden aus systemischer Sicht genauso „konstruiert“ wie Lösungen.




Hintergrundprozesse stören das psychische System.

Mühlrad als Symbol für ewig laufende Prozesse, Bild von Peter-Bauer, Pixabay

Unabgeschlossene Prozesse können „im Hintergrund“, also im Unbewussten, auch über lange Zeit in Endlosschleifen weiterlaufen. Manchmal erleben wir das auch bewusst, und dann kann das quälend, zermürbend und schädlich für uns sein. Auf jeden Fall ist es ein Stress für das Gehirn. Deshalb macht Goethes Sprichwort hier Sinn:
„Der einzige Weg hinaus ist der Weg hindurch.“

Das Abschließen von Prozessen und das Aushalten von Problemen, das Durchleben von emotionalen Phasen steigern nachweislich unsere Resilienz. Und abgeschlossene, schwierige Erlebnisse sind Lernerfahrungen. Dadurch wird Selbstkompetenz entwickelt, werden Bewältigungsstrategien trainiert und wird das Selbstvertrauen gestärkt.
So kann es gelingen, selbst unsere leidvollen Erfahrungen in wertvolle Ressourcen zu transformieren.
Veränderungen haben oft einen Preis, aber auch einen Gewinn, und der Versuch, der Gegenwart zu entkommen und stattdessen verlockende Zukunftsziele zu konstruieren, ist oft nicht der sinnvollste.
Deshalb hilft dem Klienten die Lösungsfokussierung im Moment weiter, aber der Schatten des Ungelösten bleibt hinter ihm.




Achtsamkeit und Aufmerksamkeit

„Dort, wo die Aufmerksamkeit hingeht, geschieht etwas“, sagt Albert Einstein. „Der Beobachter beeinflusst das Experiment“, sagt die Quantenphysik, und „Beobachter wirken auf das betrachtete System“, sagt die Systemtheorie. Das gilt natürlich auch für die Selbstbeobachtung.
Achtsam wahrzunehmen ist also nicht nur ein passiver Vorgang, sondern schafft einen Impuls, durch den etwas geschieht.
Die Neurobiologie postuliert, dass es für das Gehirn eigentlich nur Gegenwart gibt. Wir haben keine Erinnerungen fest abgespeichert, sondern konstruieren die vermeintliche Vergangenheit ständig neu, genauso wie Zukunftserwartungen, die auch nur Als-ob-Konstruktionen sind!




Wirkung von Zukunftszielen

Fortschrittsorientierung hat Zivilisation und Technologie stark vorangebracht: Ziele motivieren, steigern Leistung und fördern wirtschaftliches Wachstum. Gleichzeitig ist Aufmerksamkeit begrenzt: Wer sich stark auf eine erhoffte Zukunft fokussiert, verliert leicht den Kontakt zum gegenwärtigen Erleben. Ein solcher Zielmodus begünstigt zudem ein ständiges „Mehr-Wollen“ statt Zufriedenheit mit dem Ist-Zustand — mit bekannten Folgen.

Mit Achtsamkeit und feiner Wahrnehmung lässt sich hingegen ein innerer Reichtum an Ideen, Kreativität und Möglichkeiten erschließen, der sinnerfüllte Wirklichkeit begünstigt. Mehr zum Thema Zukunftsziele




Toleranz und Akzeptanz

Toleranz bedeutet ein passives Hinnehmen. Akzeptanz dagegen ist eine bewusste, freiwillige Zustimmung nach Abwägung. Sie ermöglicht selbstverantwortliche Entscheidungen statt unreflektierter Anpassung an soziale oder ökonomische Trends. In systemischen Prozessen, insbesondere in der Aufstellungsarbeit, ist die Würdigung und Akzeptanz dessen, was sich zeigt, ein zentraler Bestandteil jeder Lösungsentwicklung.




Akzeptanz-orientiertes Coaching

Porträt Steve de Shazer und Insoo Kim Berg

Vorrangig zielorientiertes Coaching birgt ein erhöhtes Risiko von Fehlentscheidungen. Akzeptanz-orientiertes Coaching beginnt deshalb mit einer achtsamen Betrachtung der aktuellen Situation — einschließlich zunächst unangenehmer Aspekte — ohne Bewertung, Schuldzuweisung oder Rechtfertigung. Erst das Annehmen dessen, was ist, schafft innere Freiheit. Danach kann entschieden werden, ob Veränderung sinnvoll, notwendig oder möglich ist. Bereits kleine Perspektivwechsel eröffnen neue Handlungsspielräume.

Die lösungsfokussierte Kurztherapie (LFK) liefert hierfür wertvolle Grundlagen: klarer Gegenwartsbezug, Respekt, Achtsamkeit sowie das Testen kleiner Interventionen und das Lernen aus dem Vergleich unterschiedlicher Verhaltensmuster.
Steve de Shazer und Insoo Kim Berg (Bild) entwickelten das LFK-Konzept. Sie vertrauten konsequent auf die eigene Lösungskompetenz ihrer Klienten.




Akzeptanz in systemischen Aufstellungen


Varga von Kibéd und Insa Sparrer: Strukturaufstellungen und Akzeptanz
Strukturaufstellungen: erst schauen, was ist, dann würdigen, wie es ist.

Im Akzeptanzprozess steht nicht das Erreichen von Neuem im Vordergrund, sondern das präzise Wahrnehmen des Ist-Zustands — der dann häufig nicht mehr als Problem erlebt wird. Das Ergebnis darf neutral sein: „Es ist, wie es ist“ — nicht als Resignation, sondern als Integrationserlaubnis.

In klassischen Strukturaufstellungen (etwa nach Hellinger) sowie in der Arbeit von Mathias Varga von Kibéd & Insa Sparrer (Bild) wird zuerst geschaut, was ist, anschließend gewürdigt, wie es ist. Danach können Strukturveränderungen erprobt werden, bis eine tragfähige Lösungsstruktur entsteht. Wesentlich ist eine angeleitete Form von Achtsamkeit: präzise Wahrnehmung im Hier und Jetzt, nicht wertend und klar fokussiert.




Aufmerksamkeit in der hypnosystemischen Arbeit

Im hypnosystemischen Konzept gilt die Fokussierung der Aufmerksamkeit als zentrales Wirkprinzip. Probleme entstehen und stabilisieren sich demnach durch selbsthypnotische Fokussierungen. Durch Würdigung des Ist-Zustands erleben Klientinnen und Klienten Steuerungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit: Die Problemtrance kann sich zur Lösungstrance wandeln. Vergangenheit und Zukunft dienen hier als hilfreiche Konstrukte; handlungsleitend bleibt die bewusste Gegenwart.




ACT – Akzeptanz- und Commitmenttherapie

ACT verbindet achtsame Beobachtung mit der Akzeptanz belastender Gedanken und Emotionen. Als verhaltenstherapeutischer, handlungsorientierter Ansatz bildet ACT eine Brücke zur systemischen Arbeit.

  • Akzeptanz: Unangenehme Empfindungen zulassen, ohne Rechtfertigung oder Urteil.
  • Commitment: Engagiertes, wertebasiertes Handeln.
  • Psychische Flexibilität: Anpassung, ohne eigene Werte aufzugeben.
  • Wertebewusstsein: Klärung dessen, was wirklich wichtig ist.
ACT lädt ein, den Umgang mit Leid neu zu gestalten: mit Anerkennung, Akzeptanz und der Entscheidung, das eigene Leben wertegeleitet zu leben.



Kritische Perspektive auf ACT

Steven C. Hayes: Mitbegründer der ACT

ACT* kombiniert behavioristische Grundlagen mit achtsamkeitsbasierten und hypnotherapeutischen Elementen.
Diese Mischung wird teils kontrovers diskutiert. Gleichwohl sind viele Techniken im Coaching nützlich – etwa die gezielte Umfokussierung der Aufmerksamkeit, das Lösen ungünstiger Verankerungen (Defusion) und die Stärkung von Autonomie. Leitgedanke:
„Sie sind nicht Ihre Gedanken und Gefühle — Sie haben sie.“

Am Ende steht häufig eine klare Zielausrichtung, vergleichbar mit der NLP-Zielentwicklung, auch im SMART-Format, mit besonderem Gewicht auf dem wertebasierten Commitment.

Bild: Steven C. Hayes: Mitbegründer der ACT




Fazit

Akzeptanz-orientiertes Coaching versteht sich nicht als Gegenentwurf, sondern als Ergänzung bewährter Verfahren. Vor jeder Neuausrichtung lohnt die achtsame Würdigung des erreichten Ist-Zustands. Genau hier zeigen sich oft Unzufriedenheit und Selbstabwertung — und zugleich das größte Entwicklungspotenzial.

Erfahrung aus langjähriger Praxis: Nach Akzeptanz folgen Veränderungsschritte häufig leichter, klarer und nachhaltiger — begleitet von Motivation, innerer Ruhe und Zuversicht.




Verwandte Themen

* Quelle (zur Defusion in ACT): Eurasiamed – Defusion in ACT