Der Wächter – unser innerer Schutz

Selbstschutz stärken, Grenzen setzen, Resilienz fördern


Autor:  Reinhard Kotter  |  Verfasst am 24.07.2025  |  Kommentare: 0

Der Wächter – unser beschützender Anteil

Symbolbild innerer Wächter: Engelskulptur (Canva-Lizenz)

Der „Wächter“ ist weniger bekannt als andere Persönlichkeitsanteile – zu Unrecht. Jedes lebendige System schützt seine Integrität, grenzt sich gegen schädliche Einflüsse ab und behauptet sich gegenüber Zumutungen, Benachteiligungen und Konkurrenz.
Systeme sind durch ihre Grenzen definiert. Abgrenzung von anderen ist ebenso existenziell notwendig wie die richtige Durchlässigkeit. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Zelle. Sie schützt sich mit einer Membran, die gleichzeitig durchlässig ist für Wasser, Nahrung, Licht usw.

Im psychischen System gibt es natürlich auch diese Wach- und Schutzfunktion. Sie ist repräsentiert im Persönlichkeitsanteil des Wächters., oft auch "Grenzwächter" genannt. Seine Aufgabe ist ähnlich der eines Bodyguards: Störungen und Bedrohungen erkennen und notfalls aufhalten, ansonsten sich aber diskret zurückhalten und alle sonstigen Interaktionen zulassen.
Der Wächter ist unser innerer Helfer. Wenn wir uns bedroht, benachteiligt oder unsicher fühlen, hilft er, klare Grenzen zu ziehen, leichter „Nein“ zu sagen und unsere Interessen selbstbewusst zu vertreten.




Einsatz in Coaching und Therapie

In der systemischen Arbeit wird der Wächter eingesetzt, um innere Sicherheit zu erzeugen und Abgrenzung nach außen zu verdeutlichen. Unsere Psyche ist verletzlich und ständigen Herausforderungen ausgesetzt. Wenn wir unsere Interessen nicht durchsetzen oder unsere Werte nicht verteidigen können, brauchen wir neue Strategien und Reaktionsmuster: „Nein“ sagen, Grenzen und rote Linien ziehen und – wenn nötig – Entschlossenheit zeigen.

Kind klammert sich an Erwachsenen, Bild von Freepick

Selbstwirksamkeit, Widerstandskraft und innere Stärke bilden die Basis für Resilienz. Selbststeuerung gelingt am besten, wenn wir unseren eigenen Fähigkeiten vertrauen, mit denen wir uns behaupten und Herausforderungen meistern können. Dazu gehört die lebensnotwendige Selbstschuzfunktion.

Häufig wird der Wächter als Partner des inneren Kindes – besonders des verletzten Kindes – genutzt. Er übernimmt eine Funktion, die früher oft dem „Schutzengel“ zugeschrieben wurde. Kinder nehmen diese Hilfe gern an und fühlen sich nachhaltig gestärkt und geschützt. Richtig eingesetzt wirkt das auch bei Erwachsenen.

Jede/r kann dem Wächter die individuelle Gestalt geben, die am besten passt: Engel, Riese, Ritter oder Kriegerin, Drache, Wachhund oder Bodyguard – entscheidend ist, dass es zur Person passt und Vertrauen und Sicherheitsgefühl gewährleistet.

Der Wächter schützt nicht nur, er berät und trainiert auch: Er liefert Ideen für Selbstschutz, Mut und klare Konflikt- bzw. Abwehrstrategien und macht Stärke über Körpersprache und Haltung sichtbar. Bei Bedarf steuert der kreative Anteil Ideen bei, während der souveräne Anteil die Zusammenarbeit mit dem Wächter im inneren Team koordiniert.




Der aggressive Wächter

Menschen, die extremen Stress, körperliche oder seelische Verletzungen bzw. Traumata erlebt haben, können dissoziative Störungen bis hin zu P ersönlichkeits-Spaltungen entwickeln. Vor allem schwere Kindheitserfahrungen – körperliche Gewalt und Schmerzen, sexuelle oder emotionale Übergriffe, Unfälle, Kriegs- und Leiderfahrungen – führen oft dazu, dass Erlebnisse nur durch Unterdrückung, Abspaltung oder Verzerrung ertragbar sind. Kämpferin im Dunkel, Bild von TheDigitalArtist, pixabay Dann werden Emotionen heruntergefahren oder „eingefroren“; Verdrängung und Vermeidung dämpfen Schmerzen und Wiederholungsängste.

Traumatisierte Menschen können einen sehr rigiden Selbstschutz entwickeln, um weitere Verletzungen zu vermeiden. Der Preis dafür ist oft hoch: Bindungsprobleme, emotionale Defizite, gestörte Impulskontrolle., Hier kommt der aggressive Wächter ins Spiel: ein kampfstarker, angriffsbereiter Anteil, der nach vorn prescht, sobald eine Situation bedrohlich erscheint oder Muster an das erlebte Trauma erinnern. Ohne diesen mächtigen Beschützer wären schlimmste Erfahrungen kaum zu überstehen. Problematisch wird es, wenn der Wächter schon in harmlosen Situationen heftig reagiert, sobald nur der Anschein einer Bedrohung auftaucht.

Bei Menschen mit agressivem Abwehrverhalten, sollte der Wächter „trainiert“ werden: Im Coaching lernt, echte von vermeintlichen Bedrohungen zu unterscheiden und die Stärke seiner Schutzreaktion angemessen zu dosieren. Aggression ist per se nichts Schlechtes – sofern sie zum Kontext passt und bewusst dosiert und gesteuert wird.




Grenzen des Coachings

Coaching kann und darf keine Traumatherapie ersetzen. Ein gut ausgebildeter Coach sollte unterscheiden können, wann ein Verhalten pathologisch und therapiebedürftig ist und wann ein Problem sich für einen Coachingauftrag eignet.

Aggressive Verhaltensmuster können dennoch Coachingthema sein. Oft handelt es sich um erlernte oder systemisch übernommene Strategien, die dem inneren Team, Beziehungen oder dem sozialen Verhalten schaden.
Ziel ist, die innere Balance wiederherzustellen: Der Wächter reguliert sein Verhalten so, dass es der Gesamtpersönlichkeit nützt – für ein stimmiges Zusammenspiel aller Anteile.



✅ Fazit

Der Wächter stärkt Selbstschutz und Grenzen; im Coaching wirkt er als Beschützer, Berater und Trainer und ergänzt das innere Team.
Der aggressive Wächter braucht Dosierung und Kontextsensitivität. Coaching kann aggresive Wächter zu diskreten Beschützern transformieren.